RETZER LAND

Die Region ist ident mit dem ehemaligen Gerichtsbezirk Retz. Der Begriff „Retzer Land“ existiert seit den 1990er Jahren, als es ab nun galt, in Tourismusbelange unter der Gemeinde Retzbach, der Marktgemeinde Zellerndorf und den vier Kleinstadt-Gemeinden Retz, Hardegg, Schrattenthal und Pulkau an einem Strang zu ziehen. Die Bereiche Kultur- und Radtourismus, Wandern, Natur erleben und Orte der Kraft aufsuchen sowie das uns ständig begleitende Thema Wein wurden für den Gast, der gerne abseits von tourististischen Trampelpfaden gelegene Regionen erkundet, erfolgreich aufbereitet.

Das Retzer Land liegt im nordwestlichen Weinviertel in Niederösterreich, entlang des östlichen Abhanges zum Manhartsberg. Nur das Gemeindegebiet von Hardegg befindet sich bereits „oben“ im Waldviertel. Im Norden grenzt die Region an die Tschechische Republik. Teilweise fungiert, inmitten zweier Nationalparks - Thayatal auf österreichischer und Podyji auf tschechischer Seite - die Thaya als Grenzfluss.

Die Thaya hat sich im Laufe von Jahrmillionen vom Waldviertel her ihren Weg durchs Urgestein gebahnt und ihr eindrucksvolles, tief in den Granit eingeschnittenes, mäanderndes Tal geformt. Das Flusstal liegt versteckt, weit hinter Laub- und Mischwäldern, beherbergt seltene bedrohte Arten und sagenumwobene, jäh auf hohen Felsen und aus dem Dickicht auftauchende Ruinen und Schlösser. Es zählt zu den schönsten Durchbruchtälern Österreichs. Unter anderem einen Abstecher wert ist der im tschechischen Teil des Nationalparks in einer Thayaschlinge gelegene Weinberg Šobes. Er ist teilweise in Terrassenform angelegt und zählt zu den ältesten Weingärten Tschechiens.

Die bewaldeten Ausläufer des Manhartsberges wechseln mit Hügeln, auf denen sich wertvolle Trockenrasen ausbreiten und Felsen aus dem Boden ragen, die, wie die mythen- und sagenumwobenen Schalensteine bei Mitterretzbach oder die Feenhaube bei Eggenburg, oft bizarre Formen angenommen haben. Diese Trockenrasen besitzen eine besonders artenreiche Pflanzen- und Tierwelt. Um die biologische Vielfalt des Retzer Raumes zu bewahren, hat das Land Niederösterreich die Region rund um Retz als Landschaftsschutzgebiet und Teil des Europaschutzgebietes „Westliches Weinviertel“ ausgewiesen.

Das kulturlandschaftliche Element der Region bilden - fernab von Autobahnen und Umfahrungsstraßen - weitläufige Weinrieden, Kellergassen und sakrale Kleindenkmäler. Diese Miniaturen in der Landschaft, welche einzelnen Flur-Abschnitten scheinbar ihren Kontrapunkt verleihen, sind in den vergangenen Jahren wieder ins Bewusstsein der Menschen gerückt. Die Bevölkerung der Dörfer ist um deren Erhalt, Pflege und historische Erforschung bemüht. Wallfahrten, Bittgänge, Andachten – auch in Verbindung mit sportlichen und gesellschaftlichen Veranstaltungen – bereichern das Bild einer Art von neuer Volksfrömmigkeit.

Das an der Thaya liegende Städtchen Hardegg ist mit seinen 85 Seelen bekannt als die kleinste Stadt Österreichs. Hier beginnt auch die geschichtliche Entwicklung der Region. Zur Zeit der Babenberger im 10. und 11. Jahrhundert konnte die Landesgrenze zu Mähren, welche zeitweilig bis an die Donau reichte, endgültig an die Thaya verlegt werden. Die aus strategischen Gründen errichtete Burg Hardegg war später unter der Herrschaft zweier Grafen von Plain, Konrad und Otto. Beide fielen sie 1260 bei Staatz einem Hinterhalt herumstreunender ungarischer Truppen zum Opfer. Sie hatten ab Mitte des 13. Jahrhundert Besitzungen im Gebiet um das heutige Retz. Otto vermachte seiner Frau, Wilbirgis die dortige Herrschaft und Burg. Abermals verwitwet, heiratete sie in dritter Ehe den aus Thüringen stammenden Schwarzenberger Grafen Berthold I. von Rabenswalde, der 1278 die Stadt Retz gründete und dessen Name allen, die hier zur Volksschule gegangen sind und für den Sachkundunterricht empfänglich waren, noch heute in den Ohren klingt.

Warum dieser Landstrich so viel an großer Vergangenheit hervorgebracht hat liegt nicht zuletzt auch darin begründet, dass er an dem alten Verbindungsweg zwischen der Donaustadt Krems und der mährischen Stadt Znaim liegt und zudem seit dem Hochmittelalter eine namhafte Weingegend war. Weinbau ist in Retz seit 1150 urkundlich nachweisbar und der hiesige Wein weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. „Vinum in antiquo monte apud Retzam“, so lobt Pabst Gregor XI. in einem Schreiben vom 23. März 1373 den Wein vom Altenberg bei Retz. Von landesfürstlicher Seite wurde der Weinanbau in diesem Gebiet erheblich gefördert. Kaiser Friedrich III. gewährte der Stadt 1458 ein Privileg, das den Bürgern den Weinhandel gestattete. Infolge dessen übten die Retzer bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts auch ein Weinhandelsmonopol in ihrem Burgfriedensbezirk aus. „Alljährlich kamen Weinkäufer aus den böhmischen Städten nach Retz, um den in den Kellern der Stadt und der umliegenden Dörfer gelagerten Wein zu holen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein stammte ein erheblicher Teil des in den böhmischen Städten ausgeschenkten Weines aus unserem Gebiet.“ (Weinführer Mitter- und Oberretzbach).

In diesem Zusammenhang wurde in Retz im Verlauf der Jahrhunderte auch der größte historische Weinkeller Österreichs gegraben. Das Kellernetz erstreckt sich über eine Länge von ca. 20 Kilometern unter dem Stadtkern und lockt heute jährlich Tausende Besucher zur Besichtigung.

„Im Verlauf des Deißigjährigen Krieges, der nicht nur den Menschen, sondern auch der Rebenkultur in dieser Region schweren Schaden zufügte, veränderte sich die Weinbaustruktur ganz wesentlich. Der Wiederaufbau nach dem langen Krieg wurde vor allem von den Bewohnern der Weinbaudörfer getragen. Ein Großteil der Weingärten ging nun in ihren Besitz über. Damals entstand im Rahmen eines neuerlichen Aufschwungs des Weinbaus in Niederösterreich jene Struktur, die bis heute die Form der Weinproduktion in den Dörfern am Manhartsbergabhang prägt. Im Rahmen der Herausbildung dieses bäuerlichen Weinbaus erfuhr auch jene Rebsorte eine besondere Förderung, die noch immer den wesentlichen Anteil der am Manhartsberg gepflanzten Reben ausmacht. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Grüne Veltliner als die Manhartsrebe schlechthin bezeichnet.“ (Weinführer Mitter- und Oberretzbach).

Die als Folge des 2. Weltkrieges einsetzende Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus den grenznahen Gebieten in der Tschechoslowakei und die Etablierung eines kommunistischen Staates im Jahr 1948 bereitete dem Jahrhunderte lang existierenden wirtschaftlichen und kulturellen Verkehr mit dem Nachbarland ein abruptes Ende. Die hermetische Abriegelung der Grenze mit Stacheldraht und militärischer Überwachung transferierte das Retzer Land ungewollt ans Ende der Westlichen Hemisphäre, an den Rand zu einer anderen politischen Welt.

Durch die Öffnung dieser Grenze im November 1989 im Zuge des Zerfalls der Regime in Osteuropa und durch den Entfall der Personenkontrollen im Jahr 2007 aufgrund des Schengen-Übereinkommens entwickelt sich allmählich, in ruhiger Abgeschiedenheit von großen Zentren, ein sprachbarrierebedingt vorsichtiges, aber natürliches neues Austauschen zweier Länder oder besser gesagt, zweier kleiner Regionen. Die geografische Nähe der tschechischen Dörfer und der alten Stadt Znaim sowie ein grenzüberschreitender Nationalpark tragen dazu bei, dass sich die „neue“ Situation langsam zu einem Bild routinierten Landlebens in Verbindung mit überschaubarem, sanftem Tourismus verdichtet.